Die Verfolgung der Juden in Bad Lippspringe

Klaus Karenfeld – 01.01.1995 – Lesezeit ~3 Minuten

Der Gedenkstein am Jordanpark in Bad Lippspringe (Foto: Joachim Hanewinkel)

Der Gedenkstein am Jordanpark in Bad Lippspringe (Foto: Joachim Hanewinkel)

Unter dem NS-Regime setzte bekanntlich eine systematische Verfolgung und Entrechtung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ein; Klaus Karenfeld hat diese örtlichen Geschehnisse in Bad Lippspringe recherchiert und schreibt dazu:
„Abgesehen von tätlichen Angriffen einiger SA-Männer auf den Kunstmaler und Grafiker Walter Levy im Juni 1932 gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die 24 in Bad Lippspringe lebenden Juden vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ ernsthaft bedroht gewesen wären. Walter Levy hatte am 5. Juni 1932 in einem von der Kreissparkasse angemieteten Ausstellungsraum an der Detmolder Straße ein Bild ausgestellt, das den Titel trug „Zwei betrunkene Arbeiter“. Die Ortsgruppenleitung der NSDAP zeigte sich brüskiert und forderte Levy auf, das Bild zu entfernen, da es den „deutschen Arbeiter in der heutigen schweren Zeit in gemeiner Weise“ beleidige. Levy weigerte sich und wurde daraufhin von mehreren SA-Männern tätlich angegriffen und verprügelt. In der folgenden Nacht zum 6. Juni 1932 wurde das Ausstellungsfenster Levys von Unbekannten mit einer schnell angefertigten Karikatur und der Aufschrift „Zwei besoffene Juden“ überklebt. Die Redaktion des offiziell bösen Paderborner NS-Blatts „Der Filter“ nahm den Vorfall zum Anlass, die Juden insgesamt „vor weiteren derartigen Provokationen“ zu warnen, „denn wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. Walter Levy wurde 1934 mit Berufsverbot belegt und betrieb seitdem seine Ausreise nach Brasilien. Ein Einreisevisum erhielt er Ende 1936. Unmittelbar nach ihrer Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten mit der Verwirklichung ihrer antisemitischen Programmatik, die zunächst auf die Entrechtung und Ausgrenzung der Juden abzielte. Die jüdischen Familien bekamen dies erstmals am 1. April 1933 deutlich zu spüren. Für diesen Tag hatten die Nationalsozialisten zu einem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Als Vorwand diente ihnen dabei die kritische ausländische Berichterstattung über die Verfolgung politischer Gegner und der Juden in Deutschland. Von den Nationalsozialisten wurden diese Berichte als „Greuel-und Hetzpropaganda“ hingestellt, gegen die es sich zu wehren gelte. Über den Verlauf des Boykotts in Bad Lippspringe und darüber, welches Echo er in der Bad Lippspringer Bevölkerung fand, lässt sich aus den Akten und Zeitungsberichten wenig entnehmen. Bekannt ist nur, dass an diesem 1. April 1933 und wiederholt auch in den folgenden Monaten SA-Posten vor dem Kolonialwarengeschäft des Max Meyer und vor dem Konfektionsgeschäft des Albert Lorch in der Lange Straße aufgezogen und die Kunden unmissverständlich aufforderten, nicht mehr bei den beiden jüdischen Geschäftsleuten zu kaufen. Ende 1934 setzte wieder eine intensivere Kampagne der Diffamierung, des Boykotts und der Gewalttätigkeiten gegen jüdische Geschäftsleute und Bürger ein, die ihren Höhepunkt mit der Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 erreichte. „Die staatlich definierte Rassenzugehörigkeit, die sich in der Unterscheidung von Reichsbürgern und Staatsangehörigen - und Juden konnten nur letzteres sein - manifestierte, machte aus allen Nichtariern Bürger minderen Rechts“. So wurden die Nachkommen zum Teil alt eingesessener Familien zu Menschen zweiter Klasse erklärt, die, von ihrer Umwelt missachtet, sich von den übrigen Mitbürgern zurückzogen und ein Leben in erzwungener gesellschaftlicher Isolation führen mussten. Der Boykott jüdischer Geschäfte zwang zunächst Max Meyer, im Februar 1934 sein Kolonialwarengeschäft aufzugeben. Es wurde - wie es damals im Amtsdeutsch hieß – „in arischen Besitz überführt“. Albert Lorch konnte sein Konfektionsgeschäft unter Einsatz der letzten Ersparnisse vor 1936 vor der drohenden „Arisierung“ bewahren. Die Folgen der mit dem Wirtschaftsboykott intendierten sozialen Ausgrenzung und gesellschaftlichen Isolation der Juden bekam Albert Lorch besonders hart zu spüren. Der begeisterte Fußball Anhänger, der auch jahrelanges Vorstandsmitglied im Bad Lippspringer Ballsportverein von 1910 (BVL) war, durfte nach der Machtübernahme nicht mehr an Veranstaltungen seines Vereins teilnehmen. Auch zu den privaten Skat- und Kegelabenden wurde er nicht mehr eingeladen und vereinsamte so zusehends. Im Sommer 1934 kam Albert Lorch bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seinen ehemaligen Vereinsfreunden verbot der damalige Vorsitzende des BVL, Dr. Aldegarmann, an der Beerdigung teilzunehmen. Ansonsten würden sie ihre Mitgliedschaft im Verein und in der Partei verlieren. Daraufhin erschien kein Vereinsmitglied zur Beerdigung.