Hildegard Kusserow

geboren am 24.12.1920 in Bochum

Hildegard Kusserow. Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Hildegard Kusserow. Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Nachdem sie ihre Schullaufbahn 1935 als gute Schülerin beendet hatte, arbeitete sie zusammen mit ihrer Schwester Magdalena in einem Gartenbaubetrieb in Bad Lippspringe.

1936 kam es durch das NS-Regime zu Massenverhaftungen von Bibelforschern (Zeugen Jehovas). Daraufhin verbreiteten die Bibelforscher, die noch frei waren, am 12. Dezember 1936 im ganzen Land eine Resolution (Luzerner Resolution). In dieser wurde deutlich die Entschlossenheit der Bibelforscher zum Ausdruck gebracht, im Sinne des Bibelverses aus Apostelgeschichte, Kapitel 5, Vers 28 Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Mit der blitzartigen, reichsweiten Verteilung des Offenen Briefes am 20. Juni 1937 reagierten die Bibelforscher auf den Vorwurf der Nationalsozialisten, dass die vorherige Resolution frei erfundene „Gräuelpropaganda“ enthalten würde. In dem Offenen Brief wurden schonungslos Einzelheiten über die staatspolizeilichen Übergriffe gegen die Bibelforscher, die konkreten Namen sowohl der brutalen Täter als auch der schwer Misshandelten genannt. Es wurden die Namen von Beamten sowie die Zeitpunkte und Orte der Verhaftungen angeführt. An diesen beiden Aktionen (Verbreitung der Resolution und des Offenen Briefes) beteiligte sich auch Hildegard.

Wegen ihrer Glaubensausübung als Bibelforscherin wurde sie mit nur 20 Jahren zusammen mit ihren Eltern im Frühjahr 1941 von der Gestapo verhaftet. Sie wurde bedroht: „Wenn Sie jetzt nicht vom Glauben der Bibel ablassen und die Namen der anderen Bibelforscher angeben, hauen wir Ihnen den Kopf ab und schmeißen Sie aus dem Fenster!“1 Doch die Nationalsozialisten blieben ohne Erfolg.

Daher kam Hildegard vor das Sondergericht in Bielefeld und wurde zu eineinhalb Jahren Haft im Jugendgefängnis in Vechta verurteilt. Weil sie den Hitlergruß nicht erwiderte, wurde sie in der dortigen Gefängnisschule vom Lehrer verhöhnt und verbal angegriffen. Während ihres Aufenthalts erfuhr sie auch von der Hinrichtung ihres Bruders Wolfgang, der aufgrund der Wehrdienstverweigerung zum Tod verurteilt worden war Trotz aller Härten nutzte sie jede Gelegenheit, anderen Insassen und sogar der Gefängnisleitung von ihrem gut fundierten Glauben zu berichten und ihnen viele Fragen anhand der Bibel zu beantworten. Einen Tag vor Ende ihrer Gefängnisstrafe – der Freiheit schon zum Greifen nahe –- wurde Hildegard ein Dokument vorgelegt, mit dessen Unterzeichnung sie erklärt hätte, von ihrem Glauben abzulassen. Wenn Sie die Erklärung nicht sofort unterschreibe, werde sie „am anderen Tag ins KZ abtransportiert“2, drohte ihr ein Gestapomann. Wie sie selbst berichtete, „dachte [sie] aber keinen Moment daran, [ihren] Glauben zu verraten“.3

Deshalb wurde Hildegard in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht. Hier erhielt sie Anstaltskleidung, die mit einem lila Stoffdreieck versehen war. Durch diesen lila Winkel waren Hunderte von Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern als eine eigene Häftlingskategorie gekennzeichnet und stigmatisiert. Nach kurzer Zeit wurde sie bei Familien von SS-Offizieren wegen ihres tadellosen Verhaltens als Haushaltshilfe eingesetzt. Sie ergriff die Gelegenheit, um verbotenerweise Kontakt zu ihrer Schwester aufzunehmen und sich um die geheime Deponierung bibelerklärender Literatur zur Ermunterung anderer Bibelforscher in der Nähe zu kümmern. Es wurde bemerkt, dass sie ohne Genehmigung das Haus verließ, woraufhin Hildegard zurück in das KZ Ravensbrück gebracht wurde. Hildegard erlitt durch die Eiseskälte beim stundenlangen Appellstehen4 eine Nierenkolik sowie einen schmerzhaften Ausschlag und wurde deswegen auf die Krankenstation verlegt. Dort musste sie mit eigenen Augen grausame medizinische Versuchen an Frauen beobachten.5 Nach ihrer Genesung wurde sie wieder als Haushaltshilfe bei einem anderen SS-Offizier eingesetzt und war dort bis zu ihrer Freilassung 1945 tätig.

Als die SS-Offiziere mit ihren Familien kurz vor dem Kriegsende flohen, wurde Hildegard mitgenommen. Im Mai 1945 gaben die SS-Offiziere die Bewachung von Hildegard während eines Tieffliegerangriffs auf und nach 4 Jahren voller Angst, Demütigungen und Brutalität konnte Hildegard schließlich ihre 360 Kilometer lange Heimreise nach Bad Lippspringe antreten – auf einem alten Herrenfahrrad. Auch diese Herausforderung meisterte Hildegard und konnte einige ihrer Familienmitglieder endlich wieder in die Arme schließen.


  1. Kusserow, Hans Werner, Der lila Winkel, Bonn 1998, S. 177, Abs. 3. ↩︎

  2. Idem, S. 119, Abs. 2. ↩︎

  3. Idem, S. 179. ↩︎

  4. Idem, S. 180. ↩︎

  5. Idem. ↩︎