Magdalena Kusserow
geboren am 23.01.1924 in Bochum
Magdalena Kusserow, auch „Lenchen“ genannt, war schon als Kind wegen Verweigerung des Fahnen- sowie Hitlergrußes in der Schule den Schikanen des Schulleiters, Herrn Wellpott, ausgesetzt. Trotz dauerhafter seelischer Misshandlungen während der Schulzeit konnte Lenchen die Schule 1938 mit den Noten „Gut“ und „Sehr gut“ in 14 von 18 Fächern erfolgreich abschließen. Ihre Hoffnung, dass sie jetzt die Schikanen ihres Schulleiters los wäre, verflog schnell. Wellpott erstattete im Jahr des Schulabschlusses Anzeige gegen sie und vier ihrer Geschwister, da sie „geistig und sittlich verwahrlost“1 seien. In Lenchens Fall führte die Anzeige ins Leere.
1936 kam es durch das NS-Regime zu Massenverhaftungen von Bibelforschern (Zeugen Jehovas). Daraufhin verbreiteten die Bibelforscher, die noch frei waren, am 12. Dezember 1936 im ganzen Land eine Resolution (Luzerner Resolution). In dieser wurde deutlich die Entschlossenheit der Bibelforscher zum Ausdruck gebracht, im Sinne des Bibelverses aus Apostelgeschichte, Kapitel 5, Vers 28 Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Mit der blitzartigen, reichsweiten Verteilung des Offenen Briefes am 20. Juni 1937 reagierten die Bibelforscher auf den Vorwurf der Nationalsozialisten, dass die vorherige Resolution frei erfundene „Gräuelpropaganda“ enthalten würde. In dem Offenen Brief wurden schonungslos Einzelheiten über die staatspolizeilichen Übergriffe gegen die Bibelforscher, die konkreten Namen sowohl der brutalen Täter als auch der schwer Misshandelten genannt. Es wurden die Namen von Beamten sowie die Zeitpunkte und Orte der Verhaftungen angeführt. An diesen beiden Aktionen (Verbreitung der Resolution und des Offenen Briefes) beteiligte sich auch Lenchen.
Nach der Schulzeit setzte sich die Verfolgung fort. Lenchen konnte zunächst keine Lehrstelle finden, da sie weder der Hitlerjugend noch dem Bund Deutscher Mädchen angehörte. Im Frühjahr 1939 fand sie dann eine Halbtagsstelle in der Kurgärtnerei in Bad Lippspringe, in der auch ihre Schwester Hildegard arbeitete. Im selben Jahr wurden ihre drei jüngsten Geschwister von der Polizei in ein NS-Erziehungsheim eingeliefert. Im April 1941 wurden dann außerdem Lenchens Eltern zusammen mit ihrer Schwester Hildegard verhaftet. Die zu dem Zeitpunkt erst 17-jährige Magdalena war nun ganz allein in dem großen Haus in Bad Lippspringe.
Einige Tage später wurde aber auch sie verhaftet und in eine Einzelzelle ins Paderborner Gefängnis gebracht. Hier waren auch bereits ihre Familienangehörigen inhaftiert. Die Gefängnisaufseher sorgten allerdings dafür, dass die Familie sich nicht sehen durfte. Während ihrer Haft wurde sie von Gestapobeamten zurück zu ihrem Familienhaus gebracht. Die Gestapo setzte Magdalena unter Druck, die Verstecke, in denen die Familie die bibelerklärende Literatur der Zeugen Jehovas aufbewahrte, zu verraten. Magdalena erinnerte sich später, dass es mindestens die 15. Hausdurchsuchung war, die sie bis dahin miterlebt hatte. Selbst unter brutalsten Schlägen der Gestapo bewahrte Magdalena ihre Integrität und half ihnen nicht.
Danach kam Magdalena ins Bielefelder Gefängnis. Lenchen, ihre Eltern und ihre Schwester Hildegard wurden zu viert vor ein Sondergericht geladen. Vor diesem mussten sie abermals erklären, warum sie den Hitlergruß nicht erwiderten und an keiner NS-Veranstaltung teilnahmen. Die Beamten machten von perfiden Methoden Gebrauch, indem sie Lenchen ein gefälschtes Protokoll der Gerichtsverhandlung ihres Vaters vorlegten. In diesem gaben sie an, dass ihr Vater die Namen anderer Zeugen Jehovas verraten hätte. Lenchen glaubte aber fest an ihren Vater und seinen unerschütterlichen Glauben und bestand auf eine Richtigstellung des Protokolls. Sie bekam daraufhin eine 6-monatige Haftstrafe im Jugendgefängnis in Vechta.
Nach Absitzen ihrer Strafe wurde Magdalena eine Verpflichtungserklärung zur Unterzeichnung vorgelegt. Mit Ihrer Unterschrift auf diesem Dokument hätte sie ihre Freiheit um den Preis ihrer religiösen Überzeugung erkaufen können. Sie verweigerte entschlossen die Unterzeichnung des Dokuments und wurde daraufhin in das KZ Ravensbrück verbracht. Nach einer grausamen, 8-tägigen Zugfahrt, verfrachtet in Transportwaggons, kam sie im KZ Ravensbrück an. Hier erhielt Magdalena Anstaltskleidung, die mit einem lila Stoffdreieck versehen war. Durch diesen lila Winkel waren Hunderte von Zeugen Jehovas als eine eigene Häftlingskategorie gekennzeichnet und stigmatisiert. Im KZ Ravensbrück traf sie auf ebenso unmenschliche Bedingungen. In ihrem Bericht führte Magdalena aus: „Das Schlimmste an dieser Erfahrung war außer der Brutalität der SS-Wachen die Winterzeit. Jeden Morgen mussten wir uns in klirrender Kälte auf dem Appellplatz zum Durchzählen aufstellen. Es begann um 4 Uhr morgens und konnte zwei bis fünf Stunden dauern. Es war nicht erlaubt, die Hände in die Taschen zu stecken. Daher bekam ich Frostbeulen an Händen und Füßen und benötigte ärztliche Behandlung. Aber wir nutzten auch die Stunden auf dem Appellplatz, um uns geistig zu erbauen. Wenn die SS-Wachen außer Hörweite waren, wiederholten wir einen Text, der von Mund zu Mund ging, und konzentrierten so unseren Sinn auf Gottes Wort. Bei einer Gelegenheit lernten wir alle Psalm 83 auswendig, indem ihn einer nach dem anderen wiederholte, natürlich so, da die Wachen nichts bemerkten.“2 In den KZ-Baracken wohnten sie mit den anderen Frauen auf engstem Raum zusammen. Sie schliefen auf Strohsäcken in Holzgestellen mit jeweils drei Schlafgelegenheiten übereinander.
Ende April 1945 wurde das Lager aufgrund der heranrückenden alliierten Truppen geräumt. Magdalena wurde zusammen mit ihrer Mutter in einer aus 40 Frauen bestehenden Gruppe auf den über 100 Kilometer langen Todesmarsch in Richtung Parchim geschickt, wo sie letztendlich ermordet werden sollten. Während des Marschs mussten sie immer wieder vor Tieffliegerangriffen in Deckung gehen und so geschah es, dass nach zwei Tagen Fußmarsch, weiteren Fliegerangriffen und dem sich daraus resultierenden Durcheinander die Gruppe von den SS-Bewachern getrennt wurde und den Frauen die Flucht gelang.
Nach fünf Monaten beschwerlicher Heimreise erreichten sie endlich Bad Lippspringe. Dort warteten schon die überlebenden Familienmitglieder auf sie.