Wilhelm Kusserow

geboren am 04.09.1914 in Bochum

Wilhelm Kusserow. Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Wilhelm Kusserow. Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Wilhelm war ein talentierter Graveur und arbeitete in der Firma Gerhardy in Lüdenscheid, die hochwertige Bestecke herstellte.

1936 kam es durch das NS-Regime zu Massenverhaftungen von Bibelforschern (Zeugen Jehovas). Daraufhin verbreiteten die Bibelforscher, die noch frei waren, am 12. Dezember 1936 im ganzen Land eine Resolution (Luzerner Resolution). In dieser wurde deutlich die Entschlossenheit der Bibelforscher zum Ausdruck gebracht, im Sinne des Bibelverses aus Apostelgeschichte, Kapitel 5, Vers 28 Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Mit der blitzartigen, reichsweiten Verteilung des Offenen Briefes am 20. Juni 1937 reagierten die Bibelforscher auf den Vorwurf der Nationalsozialisten, dass die vorherige Resolution frei erfundene „Gräuelpropaganda" enthalten würde. In dem Offenen Brief wurden schonungslos Einzelheiten über die staatspolizeilichen Übergriffe gegen die Bibelforscher, die konkreten Namen sowohl der brutalen Täter als auch der schwer Misshandelten genannt. Es wurden die Namen von Beamten sowie die Zeitpunkte und Orte der Verhaftungen angeführt. An diesen beiden Aktionen (Verbreitung der Resolution und des Offenen Briefes) beteiligte sich auch Wilhelm.

Im Herbst 1939 wurde er von der Wehrmacht einberufen. Ihm war bewusst, dass eine Verweigerung des Wehrdienstes das Todesurteil für ihn bedeuten würde. Er fragte sich aber immer wieder: „Weshalb und warum muß dieser Nazistaat so brutal sein und christlich eingestellte Menschen, Juden und andere Gruppen verfolgen oder sogar versuchen, sie zu vernichten?"1 Er war in einem starken Gewissenskonflikt. Im Dezember 1939 fasste Wilhelm den Entschluss, seinem Vorgesetzten zu sagen, dass er den Kriegsdienst „wegen seines Glaubens an Gott aus Überzeugung"2 verweigern wird. Auch nach langen Diskussionen mit seinem Chef ließ er sich von seinem Standpunkt nicht abbringen. Vor dem Kriegsgericht in Münster wurde er daher zum Tod verurteilt.

Er war der erste Märtyrer in der Familie. Seine Mutter und seine Schwester Magdalena besuchten ihn kurz vor seinem Tod. In ihrem Bericht in der Zeitschrift „Der Wachtturm" vom 1.09.1985 (hg. von Jehovas Zeugen) führt Magdalena auszugsweise aus: „Wir waren beeindruckt, wie gefasst er war. Er gab Mutter seinen Mantel und sagte: ‚Ich brauche ihn jetzt nicht mehr.' Hitler wies Wilhelms dritten Einspruch gegen das Todesurteil zurück und unterzeichnete persönlich den Hinrichtungsbefehl. Aber sogar noch als Wilhelms Augen verbunden wurden, wurde ihm eine letzte Gelegenheit gegeben, seinem Glauben abzuschwören. Er weigerte sich. Sein letzter Wunsch? Er forderte die Männer auf, gut zu zielen."

Aus dem Briefverkehr zwischen Wilhelms Mutter Hilda und seinem Pflichtverteidiger, Herr Dr. Rohr geht hervor, wie beeindruckend Wilhelm vor den Vertretern der Anklage mit der Bibel argumentierte.3 In seinem rührenden Abschiedsbrief, den er einen Abend vor seinem Tod verfasste, schrieb er, dass er Gott treu war „bis zum Tode […]. Allerdings ist es sehr schwer, diesen Gang zu gehen"4. Bis zuletzt hätte Wilhelm sich bereit erklären können, als Soldat in den Krieg zu ziehen, um der Todesstrafe zu entgehen. Aber er blieb mutig bei seiner Überzeugung, dass er als Zeuge Jehovas seine Mitmenschen nicht töten wolle.

Einige Jahre später schrieb sein Pflichtverteidiger an die Familie: „Er empfing den Tod aufrecht und war sofort tot. Seine Haltung hat das ganze Gericht und uns alle zutiefst beeindruckt. Er starb entsprechend seiner Überzeugung." Im Standesamt Bielefeld wurde über Wilhelms Todesursache jedoch dokumentiert, dass es ein „Kriegssterbefall" war. „Den Behörden muss es wohl sehr peinlich gewesen sein, die richtige Ursache anzugeben?!" 5 Auch wenn die Regierung die Familie glauben machen wollte, Wilhelm wäre für sein Vaterland und für Adolf Hitler gestorben, zeigen die Aufzeichnungen und Briefwechsel, insbesondere von seinem Rechtsanwalt, Herrn Dr. Rohr, dass Wilhelm einzig und allein wegen seiner Überzeugung gestorben ist, nicht zur Waffe zu greifen und Gott mehr zu gehorchen als der NS-Diktatur.

1946, sechs Jahre nach Wilhelms Hinrichtung, schrieb sein damaliger Pflichtverteidiger, Herr Dr. Rohr, wie beeindruckt er von Wilhelms Mut war. Aus diesem zu Herzen gehenden Schreiben sind folgende Zitate entnommen:

„Ich habe mich damals – vor der Verhandlung – viel mit Ihrem lieben Sohn unterhalten und seine ruhige unbedingte Glaubenszuversicht bewundert. Niemals wurde er erregt, trotzdem man ihm von allen Seiten zusetzte, seine Ansicht zu ändern."

„Die Zeit nach der Verhandlung bis zur Urteilsvollstreckung war Ihr Sohn Wilhelm der ruhigste Insasse der Haftanstalt, da er mit sich und seinem Glauben hinreichend beschäftigt war. Man, d.h. auch das Oberkommando des Heeres, wollte die Urteilsvollstreckung gerne vermeiden, da man die idealen Motive Ihres Sohnes anerkannte, aber alle Bemühungen, ihn umzustimmen, scheiterten an seiner konsequenten überzeugungstreuen Haltung."

Das Grab von Wilhelm und seinem Bruder Wolfgang Kusserow (ebenfalls wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet) wird noch heute von der Stadt Bad Lippspringe als Andenken gepflegt.

Transkript des Abschiedsbriefes


  1. Kusserow, Hans Werner, Der lila Winkel, Bonn 11998, S. 132, Abs. 5. ↩︎

  2. Idem, S. 132, Abs. 6 ff. ↩︎

  3. Idem, S. 299, Abs. 2. ↩︎

  4. Idem, S. 299. ↩︎

  5. Idem, S. 133. ↩︎