Waltraud Kusserow

geboren am 05.10.1919 in Bochum

Waltraud Kusserow. Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Waltraud Kusserow. Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Zunächst besuchte Waltraud die Volksschule in Bochum und arbeitete, als die Familie 1931 nach Bad Lippspringe zog, auf einem Gutshof. Danach begann sie eine Lehre als Blumenbinderin, die sie mit ihrer Gesellenprüfung 1938 erfolgreich beendete.

1936 kam es durch das NS-Regime zu Massenverhaftungen von Bibelforschern (Zeugen Jehovas). Daraufhin verbreiteten die Bibelforscher, die noch frei waren, am 12. Dezember 1936 im ganzen Land eine Resolution (Luzerner Resolution). In dieser wurde deutlich die Entschlossenheit der Bibelforscher zum Ausdruck gebracht, im Sinne des Bibelverses aus Apostelgeschichte, Kapitel 5, Vers 28 Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Mit der blitzartigen, reichsweiten Verteilung des Offenen Briefes am 20. Juni 1937 reagierten die Bibelforscher auf den Vorwurf der Nationalsozialisten, dass die vorherige Resolution frei erfundene „Gräuelpropaganda“ enthalten würde. In dem Offenen Brief wurden schonungslos Einzelheiten über die staatspolizeilichen Übergriffe gegen die Bibelforscher, die konkreten Namen sowohl der brutalen Täter als auch der schwer Misshandelten genannt. Es wurden die Namen von Beamten sowie die Zeitpunkte und Orte der Verhaftungen angeführt. An diesen beiden Aktionen (Verbreitung der Resolution und des Offenen Briefes) beteiligte sich auch Waltraud.

Waltraud zog später zu ihrer Schwester Annemarie nach Berlin, wo sie ebenfalls als Blumenbinderin arbeitete.

Im April 1941 wollte Vater Franz seine beiden Töchter in Berlin besuchen. Alles war vorbereitet. Doch bevor er sich auf den Weg machen konnte, wurden er, seine Frau und zwei weitere Kinder verhaftet. Waltraud und Annemarie erfuhren erst davon, als sie nach langem, vergebenem Warten auf ihren Vater am Bahnhof, schließlich bei der Polizei in Bad Lippspringe anriefen. Ein der Familie gutgesonnener Polizist teilte den beiden Geschwistern mit, was geschehen war, und bat sie, so schnell wie möglich nach Bad Lippspringe zu kommen, um nach dem Haus und den Tieren zu sehen.

Nach dieser schockierenden Nachricht machte sich Waltraud direkt am nächsten Tag auf den Weg nach Bad Lippspringe. Dort angekommen, fand sie alles genauso vor, wie es der Polizist am Telefon beschrieben hatte.

Im Haus selbst ein einziges Chaos: Die Gestapo hatte sämtliche Schränke und Schubladen geöffnet und durchwühlt. Es lag zerbrochenes Geschirr, Bücher, Wäsche und andere Utensilien auf dem Boden. Alles war gründlich durchsucht worden. Aber die biblische Literatur, immerhin Tausende von Büchern, war noch vorhanden.1 Die Verstecke hierfür wurden glücklicherweise von der Gestapo nicht gefunden. Waltraud blieb dann erstmal in dem Haus und fand auch wieder eine Anstellung in einem Blumengeschäft.

Nur ein paar Tage darauf, es war der 8. Mai 1941, hielt auf einmal ein Möbelwagen vor dem Haus. Der Fahrer kam zur Haustür und fragte, ob hier die Kusserows wohnen. Er sei mit der Familie Dal Ri hier, die in das Haus einziehen wollten. Waltraud war erschrocken und dachte zunächst an einen Irrtum. Doch nach längeren Diskussionen und Einsichtnahme in die schriftlichen Unterlagen musste Waltraud nachgeben. Herr Dal Ri war als Lehrer nach Bad Lippspringe versetzt worden und das Haus wurde ihm zugewiesen. Trotz dieser unfreiwilligen Situation versuchte Waltraud mit dem Ehepaar Dal Ri im Guten zurechtzukommen. Nach einiger Zeit wollte das Ehepaar Dal Ri Waltraud sogar als Hausmädchen verpflichten, was sie jedoch immer wieder ablehnte. Dies führte leider dazu, dass das Ehepaar Dal Ri ihre Meinung änderte und nun alles daransetzte, Waltraud aus dem Haus zu verdrängen. Zuerst versuchten sie es mit einer Räumungsklage, die jedoch nicht den erhofften Erfolg hatte. Daraufhin versuchten sie ihr das Leben im Haus so unbequem wie möglich zu machen.2

Am 7. November 1941 wurde Waltraud an ihrem Arbeitsplatz von der Gestapo verhaftet und nach der Vernehmung in das Gerichtsgefängnis Paderborn gebracht. In der Sonderanklageschrift vom 2. März 1942 wurden die Eheleute Dal Ri als Zeugen benannt. Waltraud wurde vorgeworfen, eine staatsfeindliche Haltung zur Schau zu tragen. So würde sie beispielsweise den Deutschen Gruß nicht erwidern und es ablehnen, das Horst-Wessel-Lied zu spielen. Auf der letzten Seite der Klageschrift hieß es: „Die Angeschuldigte sucht die Äußerungen abzuschwächen. Sie wird jedoch durch die Zeugen Dal Ri überführt. Im Übrigen sind die Äußerungen der Angeschuldigten bei ihrer fanatischen Einstellung als Bibelforscherin durchaus zuzutrauen.“3 Die Gerichtsverhandlung fand am 13. März 1942 statt. Das Urteil gegen die 22-jährige Waltraud lautete auf zweieinhalb Jahre Gefängnis.

Waltraud blieb bis zum 7. Mai 1942 im Paderborner Gefängnis, kam danach in eine Essener Haftanstalt und wurde anschließend in das Strafgefangenenlager Oberems bei Wiedenbrück überführt. In diesem Lager befanden sich Frauen, die als Kriminelle, Diebinnen sowie gewöhnliche und verwahrloste Personen galten. Die Härten und Schikanen, die für diese Frauen gedacht waren, musste Waltraud ebenso erleiden.

Am 7. Mai 1944 wurde Waltraud aus dem Lager entlassen.


  1. Kusserow, Hans Werner, Der lila Winkel, Köln 2005, S. 110. ↩︎

  2. Idem, S. 112 ↩︎

  3. Idem, S. 112 ff ↩︎