Stolpersteine Bad Lippspringe
„Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ – um diesem Vergessen entgegen zu wirken, soll in Bad Lippspringe die Erinnerungskultur konkret mit einem Projekt unterstützt werden. In der Badestadt wurden zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus 1933-1945 individuelle Stolpersteine verlegt. Dieses Projekt folgt dem Grundgedanken „ein Mensch – ein Stein – ein Schicksal“. Jedes Opfer erhält seinen eigenen Stein und es ist bedeutsam, dass im Gedenken die betroffenen Familien möglichst (symbolisch) wieder zusammengeführt werden. Vor diesem Hintergrund hat sich im März 2018 die Arbeitsgruppe Stolpersteine zusammengefunden, um die notwendigen Schritte für die Verlegung der Stolpersteine vorzubereiten.
Brief von Lotte Magnus
Im Rahmen seiner Examensarbeit hat Christian Starre das Schicksal der Juden in Bad Lippspringe und Schlangen während der Zeit des Dritten Reiches erforscht und gründlich aufgearbeitet, was auch den Briefverkehr mit Zeitzeugen einschloss.
Neben dem Antwortbrief von Werner Lorch erhielt er im Jahr 1977 auch einen Brief von Lotte Magnus aus Rapperswil (Schweiz):
Sehr geehrter Herr Starre,
es tut mir leid, dass ich Sie so lange mit meiner Antwort warten liess. Eigentlich bin ich nicht die richtige Person, Ihnen Auskunft zu geben, da ich Lippspringe noch 1933 verliess, und nur dann und wann zu Besuch dort weilte. Aber Kopien Ihres Fragebogens und Ihres Briefes vom 22.1.1977 gehen an meine beiden Brüder, die Ihnen vielleicht sehr ausführlich schreiben werden. Falls nicht, und hier muss ich Ihnen doch zu verstehen geben, wie schrecklich es immer noch ist und wie fast unbegreiflich, dass geschehen konnte, was geschehen ist, dann schreiben Sie mir noch einmal, und ich werde Einzelheiten, die mir von meinen Brüdern und Verwanten erzählt wurden, berichten.
Weiterlesen… (~5 Min.)Zweite Verlegung der Stolpersteine
Am 24. Juni 2020 wurden in Bad Lippspringe zum zweiten Mal Stolpersteine verlegt, um der Opfer des Naziterrors zu gedenken. In einer Feierstunde auf dem Rathausplatz wurden hierzu zunächst alle Opfer namentlich genannt. Denn eine zentrale Idee des Gedenkens mit Stolpersteinen ist, den Opfern ihre Namen zurückzugeben, da sie unter dem Terrorregime der Nazis oftmals zu Nummern degradiert wurden.
Mit dabei waren auch Angehörige der Familie Kusserow, einer Familie der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die von den Nazis drangsaliert, entrechtet, eingesperrt oder gar hingerichtet wurden. Die weiteste Anreise allerdings klappte nicht. Jethro Rübenhagen, der Sohn von Elisabeth Kusserow, für die ein Stolperstein verlegt wurde, wollte eigentlich aus Suriname (Südamerika) anreisen. Dies konnte jedoch wegen der aufgrund der Corona-Pandemie geschlossenen Grenzen nicht erfolgen. Herr Rübenhagen hatte allerdings für die Gedenkveranstaltung ein Grußwort gesandt, dass vor Ort verlesen wurde.
Weiterlesen… (~3 Min.)Brief von Werner Lorch
In Bad Lippspringe mussten jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in den Jahren 1933 bis 1945 Ausgrenzung, Verfolgung und Entwürdigung erleiden. Im Rahmen seiner Examensarbeit hat Christian Starre das Schicksal der Juden in Bad Lippspringe und Schlangen während der Zeit des Dritten Reiches erforscht und gründlich aufgearbeitet. Neben zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen konnte Christian Starre auch wichtige briefliche Kontakte herstellen. Auf diese Weise ist es ihm gelungen, zusätzliche Erkenntnisse und Informationen zusammenzutragen. Beispielhaft soll im Folgenden der ausführliche und bewegende Brief von Werner Lorch (New York) an Christian Starre aus dem Jahr 1977 wiedergegeben werden:
Weiterlesen… (~7 Min.)Verlegung der ersten 20 Stolpersteine
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Diese zwei Sätze, der erste aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, der zweite aus dem Talmud, bildeten das zentrale Motto, unter dem am 10. Juli 2019 in Bad Lippspringe 20 Stolpersteine verlegt wurden. 20 Stolpersteine, die dafür sorgen sollen, dass die Menschen, die in der Zeit der Nazidiktatur aufgrund ihres Glaubens, ihrer Gesinnung oder ihrer Herkunft verfolgt, drangsaliert oder ermordet wurden, in Erinnerung bleiben. Und zugleich ein mahnendes Zeichen dafür darstellen sollen, auch in Zukunft keinen Raum für Hass und Ausgrenzung zuzulassen.
Weiterlesen… (~3 Min.)Klezmerkonzert in der Martinskirche
Es brennt! Brüder, ach, es brennt!
Oh, unser armes Städtchen, wehe, brennt!
Feuerstürme jagen, gieren, reißen, brechen und entfachen,
stärker noch die wilden Flammen,
schon alles ringsum brennt!
Und ihr steht und guckt und gafft nur
mit verschränkter Händ‘,
und ihr steht und guckt und gafft nur -
unser Städtchen brennt…
Nach dem Pogrom in der polnischen Kleinstadt Przytik im Jahr 1938 verfasste Mordechai Gebirtig, ein Tischler aus Krakau, zugleich Musiker und Dichter, diesen Text. Mit seinen Werken verlieh Gebirtig den osteuropäischen Jüdinnen und Juden eine Stimme und geradezu ahnungsvoll nahm er damit die Vernichtung der Juden vorweg. 1942 wurde er von den Nationalsozialisten ermordet, auf offener Straße wurde er im Krakauer Ghetto von einem deutschen Soldaten erschossen. Doch ungefähr 170 seiner Werke haben die Schoa überlebt. In der Martinskirche Bad Lippspringe wurden sie am Samstag, den 15. Juni 2019, von Manfred Lemm (Gitarre und Gesang) und Fred Patzelt (Klarinette) auf eindrucksvolle Weise interpretiert.
Weiterlesen… (~2 Min.)Spurensuche auf dem Waldfriedhof Bad Lippspringe
Es war ein Rundgang mit denkwürdigen Stationen: Spuren jüdischen Lebens standen im Mittelpunkt eines geführten Abendspaziergangs, der im August 2018 auf dem Waldfriedhof stattfand. 35 Teilnehmer informierten sich an ausgewählten Grabstätten über die Verfolgung und Ausgrenzung von Menschen während der NS-Zeit 1933 bis 1945.
An der Grabstätte der Brüder Wilhelm und Wolfgang Kusserow wurde an das Schicksal der Zeugen Jehovas erinnert. Wilhelm, Jahrgang 1914, war im Jahr 1939 zum Kriegsdienst eingezogen worden. Wenig später verweigerte er aus Glaubensgründen den Dienst und ist daraufhin 1940 vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt worden. Am 27.04.1940 ist er in Münster hingerichtet worden. Sein Bruder Wolfgang erlitt als 20-Jähriger das gleiche Schicksal – er ist 1942 in Brandenburg hingerichtet worden. Die Eltern, Franz und Hilda Kusserow, hatten 11 Kinder und gehörten den Zeugen Jehovas an. Sämtliche Familienmitglieder hatten unsägliches Leid in den Jahren 1933 bis 1945 zu ertragen.
Weiterlesen… (~3 Min.)Erinnerungen an jüdisches Leben in Bad Lippspringe
Das schmucke Tuch liegt auf dem Tisch. Augenscheinlich handelt es sich um eine gewöhnliche Damast-Tischdecke; jedoch ist es eine besondere Geschichte, die mit diesem Stück Stoff verbunden ist. Die dekorative Tischdecke ist mehr als 70 Jahre alt und stammt aus dem Kaufhaus der jüdischen Familie Meyer (Lange Straße 6). Die Schwestern Meta und Paula Meyer waren befreundet mit Gertrud Niggemeier.
Ab 1933 wurde das Leben für jüdische Familien zunehmend schwieriger und mit den Repressionen des nationalsozialistischen Regimes unmenschlich und unerträglich. Es fehlte zumeist an Geld und Lebensmitteln, so auch bei Familie Meyer. Gertrud Niggemeier ging nachts zu Meyers und brachte ihnen Nahrungsmittel, obwohl dies bekanntlich sehr riskant war. Aus Dankbarkeit gab Meta Meyer ihrer Freundin Gertrud die besagte Damast-Tischdecke. Dieses Tischtuch wurde im Hause Niggemeier zu allen Festtagen aufgelegt. Es befindet sich noch heute in Bad Lippspringe im Besitz der Familie Böning/Wieners.
Weiterlesen… (~6 Min.)Nach zwölf Jahren Angst und Verfolgung war ich endlich frei
Erinnerungen des Bad Lippspringer Zeitzeugen Elfried Naumann an die NS-Zeit 1933 bis 1945.
Einleitung
Es ist nach wie vor schwer in Worte zu fassen, welches Elend undmenschliches Leid von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft inden Jahren 1933 bis 1945 ausgegangen ist. Umso bedeutsamer ist es, dassZeitzeugen immer wieder bereit sind, über ihre persönlichen Erlebnisseund Erfahrungen zu berichten. Die individuell erlebte Geschichte bieteteinen Zugang zur „großen" Geschichte; durch die Erinnerungen vonZeitzeugen wird beispielsweise der gelebte Alltag im Nationalsozialismustransparent. Wichtig ist, diese Erinnerungen und Geschehnisseschriftlich - oder auf andere Art - festzuhalten für zukünftigeGenerationen.
Weiterlesen… (~32 Min.)Geschichte der Juden in Bad Lippspringe im 19. Jahrhundert
Anfang des 19. Jahrhunderts werden erstmals Juden namentlich in Lippspringe erwähnt. Es waren dies die Familien Michael Berkenstein und Israel Meyer. Aus einer 1822 angefertigten Liste über in Lippspringe wohnende Juden lassen sich weitere Einzelheiten über diese Familien entnehmen. Michael Berkenstein war verheiratet mit Blümchen Dollenkamp aus Horn. Er wurde am 20. Oktober 1811 unter die hiesigen Bürger aufgenommen und lebte vom Kleinhandel. Er hatte zwei Töchter, Julie und Sarline. Julie Berkenstein starb am 14. Dezember 1821 im Alter von neun Jahren an Nervenfieber. Israel Meyer lebte zuvor in Bisses bei Frankfurt am Main und siedelte sich 1811 in Lippspringe an. Er heiratete Bräunchen Meyer aus Schlangen. 1822 hatte das Ehepaar drei Kinder: Rebecca Meyer, geboren 1816; Israel Meyer, geboren 1818, und Hendel Meyer, geboren 1821. Israel Meyer verdiente seinen Lebensunterhalt mit Hosenhandel und war 1822 bereits Hausbesitzer in Lippspringe. Samuel Spellerberg wird ebenfalls in der 1822 angefertigten Liste genannt. Er lebte allein und war zu diesem Zeitpunkt schon über 70 Jahre alt. Schon frühzeitig bemühte sich Israel Meyer um einen jüdischen Religionslehrer für seine Kinder. Doch der Landrat zu Paderborn verwehrte 1821 dem jüdischen Lehrer Moses Jeremias die weitere Tätigkeit im Hause Meyer als Religionslehrer. Moses Jeremias stammte aus Hamburg, das für die damalige Zeit Ausland war. Außerdem hatte er seine Qualifikation als jüdischer Lehrer vor der betreffenden Staatsbehörde nicht nachgewiesen. Er musste daraufhin nicht nur Lippspringe, sondern auch das königlich preußische Gebiet binnen acht Tagen verlassen. Im Jahre 1825 gestattete dann die Regierung in Minden dem Juden Israel Meyer und dem ebenfalls noch in Lippspringe wohnhaften Michael Berkenstein, den israelitischen Lehrer Moses Kahn als Religionslehrer zu beschäftigen. In den folgenden Jahren stieg die Zahl der jüdischen Bewohner in Lippspringe stetig an. Bei der Übersiedlung in einen anderen Ort mussten die Juden ein Gesuch beim zuständigen Landrat einreichen. Der Getränkehändler Hermann Rosenbach aus Hövelhof begründete 1841 seinen Wunsch, sich in Lippspringe anzusiedeln, damit, dass in Lippspringe ein weitaus höherer Bedarf an Branntwein herrsche als in Hövelhof. Das Landratsamt in Paderborn gab diesem Besuch statt. Daraufhin zog Hermann Rosenbach mit seiner Ehefrau und vier Kindern noch im Jahre 1841 nach Lippspringe. Am 26. September 1843 starb der 61-jährige Israel Meyer. Sein Sohn Meyer Meyer zeigte den Tod beim hiesigen Amt in Lippspringe an. Israel Meyer hatte über 30 Jahre hier als Höker und Schlächter gelebt. Er hinterließ seine 42 Jahre alte Frau Bräunchen Meyer und neun Kinder:
Weiterlesen… (~5 Min.)Die Verfolgung der Juden in Bad Lippspringe
Unter dem NS-Regime setzte bekanntlich eine systematische Verfolgung und Entrechtung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ein; Klaus
Karenfeld hat diese örtlichen Geschehnisse in Bad Lippspringe recherchiert und schreibt dazu:
„Abgesehen von tätlichen Angriffen einiger SA-Männer auf den Kunstmaler und Grafiker Walter Levy im Juni 1932 gab es keine Anhaltspunkte dafür,
dass die 24 in Bad Lippspringe lebenden Juden vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ ernsthaft bedroht gewesen wären. Walter Levy hatte
am 5. Juni 1932 in einem von der Kreissparkasse angemieteten Ausstellungsraum an der Detmolder Straße ein Bild ausgestellt, das den Titel trug
„Zwei betrunkene Arbeiter“. Die Ortsgruppenleitung der NSDAP zeigte sich brüskiert und forderte Levy auf, das Bild zu entfernen, da es den
„deutschen Arbeiter in der heutigen schweren Zeit in gemeiner Weise“ beleidige. Levy weigerte sich und wurde daraufhin von mehreren SA-Männern
tätlich angegriffen und verprügelt. In der folgenden Nacht zum 6. Juni 1932 wurde das Ausstellungsfenster Levys von Unbekannten mit einer schnell
angefertigten Karikatur und der Aufschrift „Zwei besoffene Juden“ überklebt. Die Redaktion des offiziell bösen Paderborner NS-Blatts „Der Filter“
nahm den Vorfall zum Anlass, die Juden insgesamt „vor weiteren derartigen Provokationen“ zu warnen, „denn wie man in den Wald hineinruft, so
schallt es heraus“. Walter Levy wurde 1934 mit Berufsverbot belegt und betrieb seitdem seine Ausreise nach Brasilien. Ein Einreisevisum erhielt er
Ende 1936. Unmittelbar nach ihrer Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten mit der Verwirklichung ihrer antisemitischen Programmatik, die
zunächst auf die Entrechtung und Ausgrenzung der Juden abzielte. Die jüdischen Familien bekamen dies erstmals am 1. April 1933 deutlich zu spüren.
Für diesen Tag hatten die Nationalsozialisten zu einem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Als Vorwand diente ihnen dabei die
kritische ausländische Berichterstattung über die Verfolgung politischer Gegner und der Juden in Deutschland. Von den Nationalsozialisten wurden
diese Berichte als „Greuel-und Hetzpropaganda“ hingestellt, gegen die es sich zu wehren gelte. Über den Verlauf des Boykotts in Bad Lippspringe und
darüber, welches Echo er in der Bad Lippspringer Bevölkerung fand, lässt sich aus den Akten und Zeitungsberichten wenig entnehmen. Bekannt ist nur,
dass an diesem 1. April 1933 und wiederholt auch in den folgenden Monaten SA-Posten vor dem Kolonialwarengeschäft des Max Meyer und vor dem
Konfektionsgeschäft des Albert Lorch in der Lange Straße aufgezogen und die Kunden unmissverständlich aufforderten, nicht mehr bei den beiden
jüdischen Geschäftsleuten zu kaufen. Ende 1934 setzte wieder eine intensivere Kampagne der Diffamierung, des Boykotts und der Gewalttätigkeiten
gegen jüdische Geschäftsleute und Bürger ein, die ihren Höhepunkt mit der Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 erreichte. „Die
staatlich definierte Rassenzugehörigkeit, die sich in der Unterscheidung von Reichsbürgern und Staatsangehörigen - und Juden konnten nur letzteres
sein - manifestierte, machte aus allen Nichtariern Bürger minderen Rechts“. So wurden die Nachkommen zum Teil alt eingesessener Familien zu
Menschen zweiter Klasse erklärt, die, von ihrer Umwelt missachtet, sich von den übrigen Mitbürgern zurückzogen und ein Leben in erzwungener
gesellschaftlicher Isolation führen mussten. Der Boykott jüdischer Geschäfte zwang zunächst Max Meyer, im Februar 1934 sein Kolonialwarengeschäft
aufzugeben. Es wurde - wie es damals im Amtsdeutsch hieß – „in arischen Besitz überführt“. Albert Lorch konnte sein Konfektionsgeschäft unter
Einsatz der letzten Ersparnisse vor 1936 vor der drohenden „Arisierung“ bewahren. Die Folgen der mit dem Wirtschaftsboykott intendierten sozialen
Ausgrenzung und gesellschaftlichen Isolation der Juden bekam Albert Lorch besonders hart zu spüren. Der begeisterte Fußball Anhänger, der auch
jahrelanges Vorstandsmitglied im Bad Lippspringer Ballsportverein von 1910 (BVL) war, durfte nach der Machtübernahme nicht mehr an Veranstaltungen
seines Vereins teilnehmen. Auch zu den privaten Skat- und Kegelabenden wurde er nicht mehr eingeladen und vereinsamte so zusehends. Im Sommer 1934
kam Albert Lorch bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seinen ehemaligen Vereinsfreunden verbot der damalige Vorsitzende des BVL, Dr. Aldegarmann, an
der Beerdigung teilzunehmen. Ansonsten würden sie ihre Mitgliedschaft im Verein und in der Partei verlieren. Daraufhin erschien kein
Vereinsmitglied zur Beerdigung.
Die Reichspogromnacht 1938 in Bad Lippspringe
Auch in Bad Lippspringe kam es im November 1938 zu „Aktionen“ im Sinne der Reichspogromnacht; Klaus Karenfeld hat diese örtlichen Geschehnisse
recherchiert und schreibt dazu:
„Nachdem von dem siebzehnjährigen deutschpolnischen Juden Herschel Grynszpan am 7. November 1938 ein Attentat auf den deutschen Botschaftssekretär
Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris verübt worden war, gab die Gestapo auf Anweisung Goebbels den Befehl für eine organisierte
Aktion, die, kaschiert als „spontane Willensäußerung des deutschen Volkes“, gegen jüdische Geschäfte, Wohnhäuser und vor allem Synagogen
durchgeführt werden sollte. Im Verlauf der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 (der sog. Reichskristallnacht) wurden daraufhin in ganz Deutschland
über 2000 Juden ermordet, eine unbekannte Anzahl von Menschen misshandelt und verletzt, fast alle Synagogen sowie mehr als 7000 im Besitz deutscher
Juden befindliche Geschäfte im gesamten Gebiet des Deutschen Reiches zerstört oder beschädigt. Der tatsächliche Ablauf der nächtlichen Terroraktion
in Bad Lippspringe lässt sich nur schwer und unvollständig rekonstruieren. Eine sicherlich wertvolle Quelle wären die Akten des
Schwurgerichtsprozesses vom 6. Juli 1949 gewesen, in dem sich elf Jahre nach der Reichspogromnacht sechs Bad Lippspringer wegen Verbrechen gegen
die Menschlichkeit bzw. Landfriedensbruch verantworten mussten. Da die Angeklagten mangels Beweises freigesprochen wurden, sind die betreffenden
Akten nicht beim Landgericht Paderborn archiviert, sondern nach Ablauf einer fünfjährigen Aufbewahrungsfrist vernichtet worden. Die nachfolgende
Darstellung über den Pogrom in der Badestadt kann sich daher im wesentlichen nur auf die eingeschränkt detaillierte Prozessberichterstattung in der
lokalen Presse vom Juli 1949 beziehen und einen anderthalbseitigen Brief von Bürgermeister Wilhelm Lange an den Paderborner Landrat vom 17.
November 1938, in dem Lange zwar ausführlich auf die während der Reichspogromnacht entstandenen Sachschäden und die von ihm eingeleiteten
Polizeimaßnahmen eingeht, den tatsächlichen Verlauf der nächtlichen Terroraktion und die dafür Verantwortlichen aber verschweigt. Diesem nur
bedingt aussagefähigen Quellenmaterial zufolge wurde am Abend des 9. November 1938 auch in Bad Lippspringe im Rahmen einer Parteifeier der
Jahrestag des (fehlgeschlagenen) Novemberputsches von 1923 begangen. Dazu hatte die örtliche Parteileitung ihre Mitglieder für 20 Uhr in den
Kursaal eingeladen. Während der Feierstunde traf die Nachricht ein, dass der deutsche Legationsrat vom Rath in Paris verstorben sei. Im
Schwurgerichtsprozess von 1949 sagten Zeugen aus, dass der Ortsgruppenleiter daraufhin vor den anwesenden Parteimitgliedern eine „Aktion gegen die
örtlichen Juden“ verlangt habe. Da die Bad Lippspringer Synagoge schon vor 1930 aus baulichen Gründen abgerissen worden war und die beiden
Geschäfte der Familien Lorch und Meyer zu diesem Zeitpunkt bereits „arische“ Besitzer hatten, richtete sich der nächtliche Terror zunächst gegen
die Häuser und Wohnungen der Bad Lippspringer Juden, dann aber auch gegen ihre Bewohner selbst. In der Zeit zwischen 24 und 1 Uhr zogen zehn bis
zwölf uniformierte SA- und SS-Männer vor die betreffenden Häuser, warfen Fensterscheiben ein und zwangen die Bewohner u. a. mit gezogener Pistole,
ihnen zu folgen. Das Ziel war das Parteilokal Peters in der Detmolder Straße. Dort wurden im Laufe der folgenden Stunden etwa zehn jüdische Männer
zusammengetrieben. Unter Drohungen und Schlägen hielten Ihnen die SA- und SS-Männer die „Verwerflichkeit der Tat des Juden Grynszpan“ vor. Dem
Schwerbehinderten Hermann Levy wurde ein Brief an den französischen Ministerpräsidenten diktiert, der darin aufgefordert wurde, künftig einen
besseren Schutz der deutschen Diplomaten in Frankreich zu gewährleisten, andernfalls müssten die „kleinen Juden“ in Deutschland die Konsequenzen
tragen. Nach etwa einer Stunde, die die zehn Männer mit erhobenen Händen und dem Gesicht zur Wand im Parteilokal verbringen mussten, wurden sie
durch den Kurpark zur Lippequelle getrieben. Auf das Kommando der Bewacher hin – „Die Juden ins Wasser, marsch!“ - sprangen sie unter Schlägen
hinein. Wer versuchte, aus der nur wenige Grad warmen Quelle herauszusteigen, wurde mit dem Kopf untergetaucht. Erst in den frühen Morgenstunden
durften die zehn Männer in ihre Wohnungen zurückkehren. Am nächsten Tag erklärten die beteiligten SA- und SS-Männer die nächtlichen „Ereignisse“
zynisch damit, dass die Juden „getauft“ worden seien. In der Nacht zum 11. November 1938 wurde der 72 Jahre alte Viehhändler Adolph Rudolphi von
Unbekannten überfallen und misshandelt, weil er angeblich Handel mit den Bad Limspringer Juden getrieben hatte. Der überwiegende Teil der Bad
Lippspringer Bevölkerung habe die nächtliche „Aktion gegen die Juden nicht verstanden und mit dem Hinweis verurteilt, dass derartiges in einem
Kulturstaate nicht vorkommen dürfe“, urteilte Bürgermeister Wilhelm Lange in dem Brief an den Paderborner Landrat vom 17. November 1938. Die
entstandenen Sachschäden bezeichnete er als nur gering: *„Größere Schäden sind bei der Durchführung der Judenaktion hier nicht entstanden. Es sind
insbesondere keine Räume verbrannt oder deren Einrichtungen zerstört oder beschädigt worden. Lediglich an folgenden Wohnungen sind einige
Fensterscheiben eingeworfen worden, und zwar: